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Aus der ZeitschriftFamPra.ch 4/2014 | S. 779–780Es folgt Seite №779

Vorwort

Am 15. Juni 2012 hat Nationalrätin Jacqueline Fehr ein Postulat für ein zeitgemässes und kohärentes Zivil-, insbesondere Familienrecht eingereicht. Das Postulat fordert einerseits einen Bericht des Bundesrates, der einen Überblick schaffen und mögliche Reformprojekte skizzieren soll. Andererseits fordert es einen Dialog mit den gesellschaftlichen Akteuren, jenen aus Zivilgesellschaft, Politik, Religion, Wissenschaft, Kultur und Wirtschaft. Dieser Dialog war das Ziel der Tagung, die fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Einreichung des Postulats, am 24. Juni 2014, auf Initiative von Bundesrätin Simonetta Sommaruga an der Universität Freiburg unter der Leitung der Professorinnen Christiana Fountoulakis und Alexandra Rumo-Jungo stattfand.

In der Tat besteht Reflexionsbedarf. Das Familienrecht des geltenden ZGB stammt aus dem Jahr 1907. Immer noch steht hier die Familie als Gemeinschaft eines lebenslang verheirateten Paares, bestehend aus Mann und Frau, sowie ihren gemeinsamen Kindern im Vordergrund. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Es gibt nicht mehr diesen einen selbstverständlichen, nicht hinterfragten Lebensplan der Eheschliessung und Kinderzeugung, sondern eine Vielzahl von Lebensprojekten, innerhalb derer die Zeugung von Kindern ein häufig sorgfältig geplantes Projekt neben anderen ist. Sexualität ist nicht mehr zwingend mit der Zeugung von Kindern verbunden, die Zeugung von Kindern nicht mehr zwingend mit Sexualität. Diese gesellschaftlichen Veränderungen haben die Rechtwirklichkeit, die das ZGB regeln muss, grundlegend geprägt. Mit der Mannigfaltigkeit der Lebensentwürfe zeichnet sich in der Rechtswirklichkeit ein Bild von Alleinstehenden und Paaren ohne Kinder, von alleinstehenden Eltern, von zusammengesetzten, von aufeinanderfolgenden und von parallelen Familien. Es gibt längst nicht mehr diese eine homogene Familie, die das ZGB vorzeichnet, sondern eine Pluralität von Familien und Lebensgemeinschaften, für die das Familienrecht des ZGB und seiner Nebengesetze zwar punktuelle ­Antworten, aber kein Konzept hat. Das Familienrecht bedarf einer Gesamtrevision gestützt auf ein Gesamtkonzept, ein Gesamtkonzept, das wir aus eigener Initiative erschaffen und wozu uns nicht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seinen Entscheiden Kroon, Jäggi, Zaunegger und anderen zwingt.

Am Symposium kamen für Referate und Diskussionsrunden erfahrene Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft und Religion zu Wort, wobei darauf geachtet wurde, dass sowohl die deutschsprachige wie auch die französische Schweiz ausgeglichen vertreten waren. Die schriftlichen Beiträge und Stellungnahmen sind in diesem Band vereint. Die Diskussion wird eingeleitet durch Bundes­rätin Simonetta Sommaruga, gefolgt von einem sozialwissenschaftlichen Beitrag von Dr. phil. Klaus Preisner. An die Einführung schliessen die Referate von Prof. Dr. iur. Aus der ZeitschriftFamPra.ch 4/2014 | S. 779–780 Es folgt Seite № 780Andrea Büchler und Prof. Dr. iur. Suzette Sandoz an zum ersten der drei an der Tagung gesetzten Themenschwerpunkte, nämlich Ehe und Partnerschaft, gefolgt von einem Diskussionsbeitrag von Prof. Dr. iur. Regina Aebi-Müller. Der zweite Themenkreis widmet sich dem Kindesrecht; er wird von Prof. Dr. iur. Alexandra Rumo-Jungo und Prof. Dr. iur. Jehanne Sosson beleuchtet. Der dritte und letzte thematische Schwerpunkt liegt auf dem Unterhaltsrecht. Ihm widmen sich die Referate von Prof. Dr. iur. Christiana Fountoulakis und Prof. Dr. iur. Thomas Geiser, gefolgt von Diskussionsbeiträgen von Ass.-Prof. Dr. iur. Monika Pfaffinger, Me Anne Reiser und Dr. iur. Annette Spycher. Einem jedem der drei Themenkreise ist eine kurze Zusammenfassung der an die Impulsreferate anschliessenden Paneldiskussionen angefügt. Den Abschluss dieses Bandes bildet das vom Bundesamt für Justiz bei Prof. Dr. iur. Ingeborg Schwenzer eingeholte Gutachten.

Die Themenschwerpunkte sind mit Bedacht gewählt. Den Veranstalterinnen und dem Bundesamt für Justiz war es ein Anliegen, sich auf die Kerngebiete des ­Gefüges «Familie» zu konzentrieren, also auf die Paarbeziehung, das Eltern-Kind-Verhältnis sowie auf die damit zusammenhängenden finanziellen Aspekte. Wie die Leserin und der Leser unschwer feststellen werden, nehmen die in diesem Band enthaltenen Referate und Diskussionsvoten oftmals unterschiedliche Standpunkte ein. Dies ist von den Veranstalterinnen durchaus gewollt. Ziel der Tagung und somit auch des vorliegenden Bandes ist es, einen Beitrag zur gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskussion auf dem Weg zur Gesamtrevision des Familienrechts zu leisten, indem die Thematik in ihrer gesamten Spannbreite, ihrer Komplexität und den damit einhergehenden Kontroversen zu Wort kommen. Entsprechend finden sich in diesem Band keine mehrheitsgetragenen Empfehlungen, sondern Analysen und Ansichten einzelner Expertinnen und Experten, gleichsam stellvertretend für die gesamte «Zunft» der Familienrechtspraktizierenden und -lehrenden in der Schweiz. In diesem Sinne bildet dieser Band – ganz im Sinne des Postulats – den «Puls der Zeit» ab, der in die Reflexionen um die Gesamterneuerung des Familienrechts Eingang finden möge.

Die Veranstalterinnen danken der FamPra.ch-Redaktion und insbesondere den Herausgeberinnen dieser Zeitschrift für die Veröffentlichung der Beiträge und Diskussionsvoten des Symposiums «Avenir Familles!» in dieser Sondernummer.

Freiburg, 3. November 2014

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